Nora Sänger - Biografie (Stand 2025)
Krisen bringen einen bekanntlich einen entscheidenden Schritt weiter.
„Ich werde nie wieder eigene Musik aufnehmen!“, ließ Sängerin und Songwriterin Nora Sänger im Jahr 2022 verlauten. Woher dieses Gelübde kam, ist schnell erklärt: Die in der Lüneburger Heide ansässige Künstlerin hatte Ende der 00er-Jahre Countrymusik für sich entdeckt. Ihr erstes Werk in diesem Genre, ihr Debütalbum Almost Golden (2015), hatte sie gemeinsam mit Pedal-Steel-Koryphäe Nils Tuxen (Truck Stop, Texas Lightning u. v. m.) aufgenommen – und somit eine formvollendete Songsammlung vorgelegt. Nur leider fand sie – die damals blutige Anfängerin, die von den Funktionsweisen der Musikbranche keine Ahnung hatte – bei ihren Bemühungen, von sich und ihrem Album reden zu machen, nicht die passenden Abnehmer. Stattdessen geriet sie an allerlei Leute aus dem Musikbusiness, die mit Country/Americana nichts am Hut hatten – und somit Noras Herzensgenre als „irrelevant“, „uninteressant“ und „zu exotisch“ für die deutsche Musiklandschaft abstempelten.
Klein beigebend nahm Nora daraufhin ein paar Singles in einer Stilrichtung auf, die ihr als Interpretin gar nicht mehr so zusagte: Pop. Und machte die Erfahrung, etwas nach draußen tragen zu müssen, hinter dem sie nicht wirklich stand.
Jede Musikveröffentlichung bedeutet für eine Indiekünstlerin wie Nora einen ungeheuren Aufwand an Zeit, Energie und nicht zuletzt auch Geld. Und das alles in eine Musikrichtung zu investieren, für die sie eigentlich nicht stehen wollte, ging mit einem gewissen Frust einher. Deswegen hieß es 2022: „Ich werde nie wieder eigene Musik aufnehmen!“
„Um meine Wunden zu lecken und mir selbst in dieser Stimmung etwas Gutes zu tun, bat ich meinen ehemaligen Mitstreiter Nils Tuxen sowie Eike Ernst (Gitarre) und Stefan Rebelski (Keys), mit denen ich seit 2019 zusammenspiele, ob sie einen neuen Song von mir gemeinsam proben würden.“ Dieser Titel hieß Bonfires und war von der Anlage her eine Country-Singer-Songwriter-Ballade. Ein Song, den Nora schon im Schreibprozess liebte – aber der mal wieder nach etwas klang, das „irrelevant“, „uninteressant“ und „zu exotisch“ sein könnte.
„Als Nils bei der Probe das erste Steel-Fill spielte, fühlte ich mich, als würde ich musikalisch nach Hause kommen. Es war der Moment, in dem der erste leichte Zweifel an meinem zuvor abgelegten Schwur aufkam.“
Noch eine ganze Weile ging Nora mit sich selbst in Klausur, wog ab, fühlte in sich hinein. Doch die Perspektive, endlich wieder Musik aufzunehmen und zu zeigen, die ihr am Herzen lag, für die sie stehen wollte – und dann auch noch begleitet von ihrem ersten Büchlein –, diese Perspektive motivierte sie, den Song Bonfires von Stefan Rebelski produzieren zu lassen und Nils Tuxen und Eike Ernst an Steel bzw. E-Gitarre zu featuren.
Und… Büchlein? Bonfires, eine englischsprachige Erzählung von etwa 60 Seiten, die die Story des Songs detailreicher erzählt, ist das Autorendebüt von Nora, die sich schon seit ihrer Kindheit leidenschaftlich gern Geschichten ausdenkt und aufschreibt.
„Bonfires hat mir gezeigt, dass es mir ein Anliegen ist, mich musikalisch authentisch zu zeigen – egal, was andere dazu sagen. Und es ist ja nun nicht so, dass niemand hierzulande Country, Americana & Co. mag – ich muss nur einfach die passenden Hörer für meine Musik finden. Dann fallen die Feedbacks auch anders aus“, zwinkert Nora. Und so entschied sie, dass, wenn sie’s wieder tut (also eigene Musik aufnehmen), dann aber richtig.
„Ich bin mit dem Gesang von Whitney Houston aufgewachsen. Ihre Alben haben mich begeistert, aber am meisten liebte ich eine VHS-Kassette mit einem Konzert von ihr. Ich weiß nicht, wie viele Male ich mir diesen Mitschnitt angeschaut habe. Wenn sie live sang, kam viel mehr Gospel durch als auf ihren Alben… und diesen Gospel, diesen Soul, die Art, wie sie mit ihrer Stimme Musik machte und gestaltete – das hat mich in einen Bann geschlagen“, schwärmt Nora.
„Als ich Country für mich entdeckte und 2015 mein Album aufnahm, habe ich nicht darüber nachgedacht, ob ich Soul in das Album mit einbringen möchte. Irgendwie ging ich davon aus, dass Country und Soul zwei verschiedene Paar Schuhe wären.“
Aber durch immer mehr Musik, die Nora mit der Zeit aus dem Bereich Country und seinen benachbarten Stilen kennenlernte, stellte sie fest, dass das mitnichten der Fall ist.
„Auf einmal entdeckte ich Tennessee Whiskey von Chris Stapleton, das The Grand Tour-Cover von Aaron Neville oder die Version von Do Right Woman der Flying Burrito Brothers – den Titel kannte ich eigentlich von Aretha Franklin. Ich war begeistert, dass der Song sowohl als Soulballade wie auch als Country-Walzer gleichermaßen glaubwürdig ist.“
Neben dem Soul-Aspekt, dem sie in ihrer neuen Musik Platz einräumen wollte, war Blues das zweite neue Thema, das sich anschlich – und zwar in Gestalt von Trail, dem Titeltrack der neuen EP.
„Ich hatte die Hälfte von Trail bereits 2013 geschrieben und die wilde Idee, den Titel mit zu den Aufnahmesessions für Almost Golden zu nehmen. Aber ich hörte selbst, dass Trail sich von den Songs, an denen wir damals arbeiteten, stilistisch abhob. Außerdem wollte ich, dass eine E-Gitarre eine prominente Rolle auf Trail spielt – und fürs 2015er-Album hatten wir uns für einen folkigen, akustischeren Sound entschieden. Ich spürte, dass Trail ausscheren würde, also hielt ich ihn zurück – er blieb mir aber immer im Gedächtnis für ‚irgendwann mal‘. Als ich 2024 entschied, eine neue EP aufzunehmen – mit Eike Ernst als Produzent –, wusste ich, dass ich Trail mit ins Studio nehmen kann. Für die von mir gewünschte prominente E-Gitarre wäre auf jeden Fall bestens gesorgt.“
Als Nora zum ersten Mal Eikes Arrangement für Trail hörte, war sie total geflasht: „Das ist ja Bluesrock!“, dachte sie verwundert und total angetan. „Dass ich als Songwriterin einen Beitrag zu so einer coolen Nummer geleistet hatte, konnte ich beim ersten Hören kaum glauben. Und ich war einfach nur begeistert von der Co-Op mit Eike, der – nicht nur auf Trail, sondern auf allen Titeln der EP – so viel stilistisch Authentisches, Kreatives und Überraschendes auf Lager hatte.“
Mit der ersten Single-Auskopplung der EP, der Pedal-Steel-lastigen Countryrock-Nummer Ride That Rodeo, knüpft Nora direkt bei Almost Golden und Bonfires an. Die zweite Single, Tricky, ist eine energetische Bluesballade, die Noras facettenreichen Gesang und Eikes charismatische Gitarren präsentiert. The Dance kombiniert Slow Funk mit Slide-Gitarren, und der Schlusstrack der EP, Phantom Pain, ist ein Country-Singer-Songwriter-Titel, der im Refrain durch soulige Vocals besticht.
Noras Songtexte handeln schwerpunktmäßig von individueller, weiblicher und künstlerischer Emanzipation – was nicht verwundert, wenn die EP Trail eben ein Statement für Noras musikalische Authentizität ist.
„Die tollen Arrangements und instrumentalen Finessen auf Trail haben mich zu einem Schritt inspiriert, der auch zu Almost Golden-Zeiten schon sinnvoll gewesen wäre“, erzählt Nora. „Ich möchte meine Liveband fortan mehr in den Fokus rücken und werde mit diesen großartigen Instrumentalisten unter dem Namen Nora Sänger & Still Waters spielen.“
Das Kapitel Trail ist für Nora Sänger also eine Mischung aus Back to the Roots und Neuanfang – und sie kann es kaum erwarten, in dieses Kapitel zu starten.